Herbstliches
 

Herbstbild (Friedrich Hebbel
Herbststimmung (Rilke)
Herbstbeginn (Hermann Hesse)

Regentag im Herbst (Seidel)

November (Heinrich Seidel)
Herbsttag (Rainer Maria Rilke)
In trauter Verborgenheit (Busch)
Jahreszeiten (Heinrich Seidel)
Spätherbst (Theodor Fontane) 
Herbst (Nikolaus Lenau)

Herbst (Christian Morgenstern)

Herbstwind (Clara Müller)
Herbsthauch (Friedrich Rückert)
Herbstlich sonnige Tage (Geibel)
Es lacht in dem steigenden Jahr 
Am Fenster lehn ich (Storm)

 

Herbstanfang 23. September

Lyrikauswahl


Ich ziehe deshalb den Herbst dem Frühjahr vor,
weil das Auge im Herbst den Himmel, im Frühjahr aber die Erde sucht.
Søren Kierkegaard

Herbstbild

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
   Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
   Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O störe sie nicht, die Feier der Natur!
   Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
   Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel (1813-1863)

 

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Herbststimmung

Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer,
an dessen Türe schon der Tod steht still;
auf nassen Dächern liegt ein blasser Schimmer,
wie der der Kerze, die verlöschen will.

Das Regenwasser röchelt in den Rinnen,
der matte Wind hält Blätterleichenschau; -
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

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Herbstbeginn

Der Herbst streut weiße Nebel aus,
Es kann nicht immer Sommer sein!
Der Abend lockt mit Lampenschein
Mich aus der Kühle früh ins Haus.

Bald stehen Baum und Garten leer,
Dann glüht nur noch der wilde Wein
Ums Haus, und bald verglüht auch der,
Es kann nicht immer Sommer sein.

Was mich zur Jugendzeit erfreut,
Es hat den alten frohen Schein
Nicht mehr und freut mich nimmer heut -
Es kann nicht immer Sommer sein.

O Liebe, wundersame Glut,
Die durch der Jahre Lust und Mühn
Mir immer hat gebrannt im Blut -
O Liebe, kannst auch du verglühn?

Hermann Hesse

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Regentag im Herbst

Still vom grauen Himmelsgrunde
Sprüht der sanfte Regenstaub -
Trüber Tag und trübe Stunde -
Thränen weint das rothe Laub;
Vom Kastanienbaum ohn' Ende
Schweben still die welken Hände.
Trübe Herbstesregentage:
Gerne wandr' ich dann allein,
Was ich tief im Herzen trage,
Leuchtet mir in hellem Schein;
In die grauen Nebelräume
Spinn' ich meine goldnen Träume.

Und so träum' ich still im Wachen,
Bis der Abend niedersinkt,
Und in all den Regenlachen
Sanft und roth sein Abglanz blinkt.
In der Nähe, in den Weiten:
Rosenschimmer bessrer Zeiten!

Heinrich Seidel (1842-1906)

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NOVEMBER

Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdriesslich sein
Und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist 'ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn' Unterlass:
Ja, das ist Novemberspass!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelsthau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt's an jedem Zweig,
Einer dicken Thräne gleich.

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch' unvernünft'ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Greuel schauen zu!

Heinrich Seidel (1842-1906)

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Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

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In trauter Verborgenheit

Ade, ihr Sommertage,
    Wie seid ihr so schnell enteilt,
Gar mancherlei Lust und Plage
    Habt ihr uns zugeteilt.

Wohl war es ein Entzücken,
    Zu wandeln im Sonnenschein,
Nur die verflixten Mücken
    Mischten sich immer darein.

Und wenn wir auf Waldeswegen
    Dem Sange der Vögel gelauscht,
Dann kam natürlich ein Regen
    Auf uns hernieder gerauscht.

Die lustigen Sänger haben
    Nach Süden sich aufgemacht,
Bei Tage krächzen die Raben,
    Die Käuze schreien bei Nacht.

Was ist das für ein Gesause!
    Es stürmt bereits und schneit.
Da bleiben wir zwei zu Hause
    In trauter Verborgenheit. 

Kein Wetter kann uns verdrießen.
    Mein Liebchen, ich und du,
Wir halten uns warm und schließen
    Hübsch feste die Türen zu.

Wilhelm Busch (1832-1908)

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Jahreszeiten

Grüner Frühling kehret wieder, bringt uns Blüten ohne Zahl,
Und sein fröhliches Gefieder jauchzt in Wald und Wiesental,
Jubelt ob dem Saatenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Goldner Sommer, da in Bogen hoch die Sonne glänzend geht,
Und mit windbewegten Wogen sanftes Flüstern heimlich weht,
Durch das reiche Ährenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Brauner Herbst, wo Früchte drängen sich im Garten und im Wald,
Wo von sanften Rebenhängen froh das Lied der Winzer schallt
Über das geleerte Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

Weißer Winter - schneeverhangen liegt die Welt in stillem Traum;
In demantnem Glanze prangen Wald und und Wiese, Busch und Baum,
Und im Silbersachein das Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

Ob der Frühling grünt und blühet, Sommer steht in goldnem Kleid,
Ob der Herbst in Farben glühet, ob's im Winter friert und schneit - 
Glücklich, wem es stets gefällt: O, wie herrlich ist die Welt!

Heinrich Seidel (1842-1906)

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Spätherbst

Schon mischt sich Rot in der Blätter Grün,
Reseden und Astern im Verblühn,
Die Trauben geschnitten, der Hafer gemäht,
Der Herbst ist da, das Jahr wird spät.

Und doch (ob Herbst auch) die Sonne glüht –
Weg drum mit der Schwermut aus deinem Gemüt!
Banne die Sorge, genieße, was frommt,
Eh Stille, Schnee und Winter kommt.

Theodor Fontane (1819-1898)

 

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Herbst

 "Rings ein Verstummen, ein Entfärben -
wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
die Zeit der Liebe ist verklungen,
die Vögel haben ausgesungen -
und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
ist mir, als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
nur heimlich still vergnügtes Tauschen."

Nikolaus Lenau (1802-1850)

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Herbst

Zu Golde ward die Welt;
zu lange traf
der Sonne süßer Strahl
das Blatt, den Zweig.
Nun neig
dich, Welt, hinab
in Winterschlaf.
 
Bald sinkt's von droben dir
in flockigen Geweben
verschleiernd zu -
und bringt dir Ruh,
o Welt,
o dir, zu Gold geliebtes Leben,
Ruh.

Christian Morgenstern (1871-1914)

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Herbstwind

Durch fahlbelaubte Bäume
mit müdem Ton der Herbstwind singt;
die sehnsuchtsbange Weise klingt
Des Nachts in meine Träume.

Ach, alle Blumendüfte,
das Farbenspiel der Rosenzeit,
die ganze Sonnenseligkeit
Zerstoben in die Lüfte!

Verstummt ist Scherz und Kosen.
Die mir geblüht in tiefster Brust,
das alte Leid, die alte Lust
sie starben mit den Rosen!

Nun will kein Stern mehr scheinen.
Der Himmel trüb und wolkenschwer,
das Haupt so müd' das Auge leer ...
Ich hab verlernt das Weinen! 

Und wenn die Sehnsuchtslieder
der Nachtwind auf den Fluren singt,
in meinem Herzen hallt und klingt
sein traumhaft Rauschen wider.

Clara Müller (1861-1905)

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Herbsthauch

Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
  Hoffst du von Tagen zu Tagen,
  Was dir der blühende Frühling nicht trug,
  Werde der Herbst dir noch tragen!

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
  Immer zu schmeicheln, zu kosen.
  Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
  Abends verstreut er die Rosen.

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
  Bis er ihn völlig gelichtet.
  Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
  Was wir geliebt und gedichtet.

Friedrich Rückert (1788-1866)

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Herbstgefühl

Müder Glanz der Sonne!
Blasses Himmelblau!
Von verklungner Wonne
Träumet still die Au. 

An der letzten Rose
Löset lebenssatt
Sich der letzte lose,
Bleiche Blumenblatt!

Goldenes Entfärben
Schleicht sich durch den Hain!
Auch Vergehn'n und Sterben
Däucht mir süß zu sein.

Friedrich Karl von Gerok (1815-1890)

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Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen, 
Ich nahm es so im Wandern mit, 
Auf dass es einst mir möge sagen, 
Wie laut die Nachtigall geschlagen, 
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

Theodor Storm
(1817-1888)

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Herbst 

I
Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Daß man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg’ ein ferner Frühlingstag.

II
Die Sense rauscht, die Ähre fällt,
Die Tiere räumen scheu das Feld,
Der Mensch begehrt die ganze Welt.

III
Und sind die Blumen abgeblüht,
So brecht der Äpfel goldne Bälle;
Hin ist die Zeit der Schwärmerei,
So schätzt nun endlich das Reelle! 

Theodor Storm (1817-1888)

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SPAZIERGANG AM HERBSTABEND

Wenn ich abends einsam gehe
Und die Blätter fallen sehe,
Finsternisse niederwallen,
Ferne, fromme Glocken hallen:

Ach, wie viele sanfte Bilder,
Immer inniger und milder,
Schatten längst vergangner Zeiten,
Seh ich dann vorübergleiten.

Was ich in den fernsten Stunden,
Oft nur halb bewußt, empfunden,
Dämmert auf in Seel' und Sinnen,
Mich noch einmal zu umspinnen.

Und im inneren Zerfließen
Mein ich's wieder zu genießen,
Was mich vormals glücklich machte,
Oder mir Vergessen brachte.

Doch, dann frag ich mich mit Beben:
Ist so ganz verarmt dein Leben?
Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,
Sprich, was war es einst dem Herzen?

Völlig dunkel ist's geworden,
Schärfer bläst der Wind aus Norden,
Und dies Blatt, dies kalt benetzte,
Ist vielleicht vom Baum das letzte.

 Christian Friedrich Hebbel (1813-1863)

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Im Herbste

Es rauscht, die gelben Blätter fliegen,
Am Himmel steht ein falber Schein;
Du schauerst leis und drückst dich fester
In deines Mannes Arm hinein.

Was nun von Halm zu Halme wandelt,
Was nach den letzten Blumen greift,
Hat heimlich im Vorübergehen
Auch dein geliebtes Haupt gestreift.

Doch reißen auch die zarten Fäden,
Die warme Nacht auf Wiesen spann -
Es ist der Sommer nur, der scheidet;
Was geht denn uns der Sommer an!

Du legst die Hand an meine Stirne
Und schaust mir prüfend ins Gesicht;
Aus deinen milden Frauenaugen
Bricht gar zu melancholisch Licht.

Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer,
Ein Rätsel, das dich einst bewegt,
Daß du in meine Hand gefangen
Die freie Mädchenhand gelegt?

O schaudre nicht! Ob auch unmerklich
Der schönste Sonnenschein verrann -
Es ist der Sommer nur, der scheidet;
Was geht denn uns der Sommer an!

Theodor Storm (1817-1888)

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Fülle

Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte!
Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte,
Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zu Erde.

Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube!
Die saftge Pfirsche winkt dem durstgen Munde!
Die trunknen Wespen summen in die Runde:
"Genug ist nicht genug!" um eine Traube.

Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen
Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses,
Das Herz, auch es bedarf des Überflusses,
Genug kann nie und nimmermehr genügen!

Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) 

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So regnet es sich langsam ein

So regnet es sich langsam ein
und immer kürzer wird der Tag
und immer seltener der Sonnenschein.
Ich sah am Waldrand gestern ein paar Rosen stehn...
gib mir die Hand und komm...
wir wollen sie pflücken gehn...
Es werden wohl die letzten sein!

Cäsar Flaischlen (1864-1920)

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Herbstnebel

Ringsum die Flut verhüllt,
Dunstig und grau. -
Das sind die Schleier feucht
Der Nebelfrau .-
Schattenhaft ragen auf
Sträucher und Baum.
Auf meiner Seele liegt
Ein schwerer Traum.
Zitternde Träne hängt
Am dürren Kraut.
Krächzend aus grauem Meer
Dringt Vogellaut.
Heimliches Raunen rings:
"Sommer ist tot!"
Gütiger Gott! Was bringt
Uns Winternot?

Theodora Korte (1873-1926)

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Herbsttag (Oktober)

Oktobertag. Die Wolken fliehn,
Der Himmel blauschimmernde Seide,
Des Herbstes lodernde Farben glühn:
Festflammen auf brauner Heide.
Am Brombeerstrauch das Purpurblatt
Umschmeichelt die glänzende Beere,
Am Heidekraut träumt bleich und matt
Verspätete Blütenähre.
Die Birke im goldenen Königsgewand
Wiegt zitternd die schwankenden Zweige.
der schlummernde Wind hebt müde die Hand
und stimmt die Spielmannsgeige.
Er richtet sich auf und harft und geigt
In den Föhren, den dunklen, herben
Und alles neigt sich und lauscht und schweigt
Dem Lied vom großen Sterben.

Theodora Korte (1873-1926)

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Der Herbst, der war mir lieber

Der Herbst, der war mir lieber
Als dieser Lenz mir ist!
Das Herz ging so uns über,
Daß wir uns wund geküßt!

Auf jedem stillen Steige
Blieben wir küssend stehn -
Strich Herbst auch durch die Zweige,
Durchs Herz ging Frühlingswehn! -

Wir wanderten umschlungen
Durch Auen im Mondenschein
Und hatten im Herbst gedungen
Den Mai - für uns allein!

Sidonie
Grünwald-Zerkowitz (1852-1907)

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Ich sah den Wald sich färben

Ich sah den Wald sich färben,
Die Luft war grau und stumm;
Mir war betrübt zum Sterben,
Und wußt' es kaum, warum.

Durchs Feld vom Herbstgestäude
Hertrieb das dürre Laub;
Da dacht' ich: deine Freude
Ward so des Windes Raub.

Dein Lenz, der blütenvolle,
Dein reicher Sommer schwand;
An die gefrorne Scholle
Bist du nun festgebannt.

Da plötzlich floß ein klares
Getön in Lüften hoch:
Ein Wandervogel war es,
Der nach dem Süden zog.

Ach, wie der Schlag der Schwingen,
Das Lied ins Ohr mir kam,
Fühlt' ich's wie Trost mir dringen
Zum Herzen wundersam.

Es mahnt' aus heller Kehle
Mich ja der flücht'ge Gast:
Vergiß, o Menschenseele,
Nicht, daß du Flügel hast.

Emanuel Geibel (1815-1884)

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Herbstlich sonnige Tage,

mir beschieden zur Lust,
euch mit leiserem Schlage
grüßt die atmende Brust.
O wie waltet die Stunde
nun in seliger Ruh’!
Jede schmerzende Wunde
schließet leise sich zu.
Nur zu rasten, zu lieben,
still an sich selber zu baun,
fühlt sich die Seele getrieben
und mit Liebe zu schaun.
Jedem leisen Verfärben
lausch ich mit stillem Bemühn,
jedem Wachsen und Sterben,
jedem Welken und Blühn.
Was da webet im Ringe,
was da blüht auf der Flur,
Sinnbild ewiger Dinge
ist’s dem Schauenden nur.
Jede sprossende Pflanze,
die mit Düften sich füllt,
trägt im Kelche das ganze
Weltgeheimnis verhüllt.

Emanuel Geibel (1815-1884)

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Es lacht in dem steigenden Jahr dir

Es lacht in dem steigenden Jahr dir
der Duft aus dem Garten noch leis.
Flicht in dem flatternden Haar dir
Eppich und Ehrenpreis.

Die wehende Saat ist wie Gold noch,
vielleicht nicht so hoch mehr und reich.
Rosen begrüßen dich hold noch, 
ward auch ihr Glanz etwas bleich.

Verschweigen wir, was uns verwehrt ist;
geloben wir, glücklich zu sein, 
wenn auch nicht mehr uns beschert ist
als noch ein Rundgang zu zwein.

Stefan George (1868-1933)

 

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Der Herbstgang

Die Bäume stehn der Frucht entladen,
Und gelbes Laub verweht ins Thal;
Das Stoppelfeld in Schimmerfaden
Erglänzt am niedern Mittagsstrahl
Es kreist der Vögel Schwarm und ziehet;
Das Vieh verlangt zum Stall, und fliehet
Die magern Aun, vom Reife fahl.

O geh am sanften Scheidetage
Des Jahrs zu guter Lezt hinaus,
Und nenn' ihn Sommertag, und trage
Den lezten schwer gefundnen Strauß.
Bald steigt Gewölk, und schwarz dahinter
Der Sturm, und sein Genoß, der Winter,
Und hüllt in Flocken Feld und Haus.

Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet
Die Freuden im Vorüberfliehn,
Empfängt, was kommt, unüberraschet,
Und pflückt die Blumen, weil sie blühn.
Und sind die Blumen auch verschwunden;
So steht am Winterherd' umwunden
Sein Festpokal mit Immergrün.

Noch trocken führt durch Thal und Hügel
Der längstvertraute Sommerpfad.
Nur röthlich hängt am Wasserspiegel
Der Baum, den grün ihr neulich saht.
Doch grünt der Kamp von Winterkorne;
Doch grünt, beim Roth der Hagedorne
Und Spillbeern, unsre Lagerstatt!

So still an warmer Sonne liegend,
Sehn wir das bunte Feld hinan
Und dort, auf schwarzer Brache pflügend,
Mit Lustgepfeif, den Ackermann:
Die Krähn in frischer Furche schwärmen
Dem Pfluge nach, und schrein und lärmen;
Und dampfend zieht das Gaulgespann.

Natur, wie schön in jedem Kleide!
Auch noch im Sterbekleid wie schön!
Sie mischt in Wehmut sanfte Freude,
Und lächelt thränend noch im Gehen.
Du, welkes Laub, das niederschauert,
Du Blümchen, lispelst: Nicht getrauert!
Wir werden schöner auferstehn!

Johann Heinrich Voss (1751-1826)

 

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Der scheidende Sommer
 
Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles, was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
 
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers sein.
 
Mir ist, als müsst ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedsstund'.
 
Ich musste von dir scheiden,
Und wusste, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.
 
Heinrich Heine

 

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Stiller Augenblick

Fliehendes Jahr, in duftigen Schleiern
Streifend an abendrötlichen Weihern
Wallest du deine Bahn;
Siehst mich am kühlen Waldsee stehen,
Wo an herbstlichen Uferhöhen
Zieht entlang ein stummer Schwan.

Still und einsam schwingt er die Flügel
Tauchet in den Wasserspiegel,
Hebt den Hals empor und lauscht;
Taucht zum andern Male nieder,
Richtet sich auf und lauschet wieder,
Wie's im flüsternden Schilfe rauscht.

Und in seinem Tun und Lassen
Will's mich wie ein Traum erfassen,
Als ob's meine Seele wär',
Die verwundert über das Leben,
Über das Hin und Wiederschweben,
Lugt' und lauschte hin und her.

Atme nur in vollen Zügen
Dieses friedliche Genügen
Einsam auf der stillen Flur!
Und hast du dich klar empfunden,
Mögen enden deine Stunden,
Wie zerfließt die Schwanenspur!

Gottfried Keller

 

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Am Fenster lehn ich

Am Fenster lehn ich, müd verwacht.
Da ruft es so weithin durch die Nacht. –

Hoch oben hinter Wolkenflug
Hinschwimmt ein Wandervogelzug.

Sie fahren dahin mit hellem Schrei
Hoch unter den Sternen in Lüften frei.

Sie sehn von fern den Frühling blühn,
Wild rauschen sie über die Lande hin.

O Herz, was ist's denn, das dich hält?
Flieg mit, hoch über der schönen Welt!

Dem wilden Schwarm gesell dich zu;
Vielleicht siehst auch den Frühling du!

Dann gib noch einmal aus Herzensdrang
Einen Laut, ein Lied, wie es einstens klang!

Theodor Storm

 

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