Was man so alles überlebt

Ich frage mich oft,
und ich geh mir dabei selbst auf die Nerven,
denn es ist eine Frage in mehreren Strophen:
warum werfen uns seelische Katastrophen
nicht um?
Gewiss, sie tun es schon,
aber sozusagen auf Raten.
Wenn wir zum Beispiel bei einem Unfall
gründlich unter die Räder geraten,
ist das eine einmalige Sache.
Und der Tod
kommt
prompt.

Wenn uns hingegen,
na, sagen wir es blumig, das so genannte Rad des Lebens
zermalmt - ist da wohl das richtige Wort,
dann geschieht das keineswegs sofort.
Das Unglück läppert sich
mit oder ohne Schuld.
Die Katastrophe spricht mit zynischem Gähnen:
Geduld, Geduld,
du wirst dich schon an mich gewöhnen.

Wenn das, was wir Liebe zu nennen gewohnt sind, stirbt,
geschieht das auch nicht an einem Tag.
Sondern nur so schrittweise,
Tag um Tag vielleicht ein tausendstel Millimeter -
sonst gäb´s chronische Epidemien von gebrochenen Herzen.
So aber verschmerzen wir´s fast.
Und später
lächeln wir fast unter Trümmern und Scherben
über so manches vernarbte Ade.
Denn der Tod tut nicht weh.
Nur das Sterben.

Mascha Kaleko
aus „In meinen Träumen läutet es Sturm“

zurück